„Gemeinsam für gute Lebensbedingungen für alle Menschen in unserem schönen Bayern“

Redebeitrag von Martina Neubauer, Sprecherin der Grünen Bezirksrät*innen in Bayern und Bezirksrätin aus Oberbayern auf der Vollversammlung des Bayerischen Bezirketags – Aussprache zum Tätigkeitsbericht des Verbandspräsidenten am 27./28. Juni 2024

Sehr geehrter Herr Innenminister, sehr geehrtes Präsidium, sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen und Gruppierungen!

Es ist schon gute Tradition, dass Vertreter der Bayerischen Staatsregierung zumindest zu Beginn unserer Vollversammlung anwesend sind. Bevor ich einige aktuelle Themen aufgreifen möchte (in der Hoffnung, dass Herr Staatsminister Herrmann noch anwesend ist und diese aufmerksam mitnehmen wird), möchte ich noch einmal kurz den Blick zurückwerfen. Wir hatten im vergangenen Jahr unseren Ministerpräsidenten Dr. Markus Söder bei uns, der uns nicht nur mit einem Redebeitrag „beglückte“, sondern insbesondere im Gespräch mit unserem Verbandspräsidenten und mit uns spezifische Fragestellungen diskutierte. Ich darf daran erinnern, dass es MP Söder als unproblematisch ansah, das Wahlrecht für EU-Bürgerinnen und -Bürger mit Blick auf die Bezirkstagswahlen zu ermöglichen. Allein: passiert ist rein gar nichts. Diese Forderung bleibt bestehen!

Vielen Dank, dass wir auch in diesem Jahr im Vorfeld der heutigen Aussprache einen Überblick über die Themen erhalten haben, die Sie, sehr geehrter Herr Verbandspräsident für uns und für Herrn Innenminister Herrmann vorgesehen haben. Dies spiegelt die Bandbreite der Themen wider, mit der wir uns in den sieben bayerischen Bezirken intensiv befassen und das spiegelt auch wider, an welchen Stellen wir in unserer Handlungsfähigkeit eingeschränkt werden, weil der Freistaat die Weichen immer noch nicht gestellt hat.

Ganz konkret möchte ich einige Punkte ansprechen und vertiefen:

  1. PfleWoQG: Nach der Anhörung im Bayerischen Landtag hatten wir noch in der vergangenen Amtsperiode mit den Ausführungsbestimmungen gerechnet. Wird das noch was? Der Druck ist enorm hoch – und aus fachlicher Sicht ist allen völlig klar, dass es eine Unterscheidung zwischen Pflege und Menschen mit Behinderung geben muss.
  2. Wird das noch was, mit der Anpassung der Finanzierung der Personalkosten durch den Freistaat endlich den tariflichen Bedingungen angepasst werden? Die Bezirke gehen hier seit vielen Jahren in Vorleistung – bereits die dritte Ministerin hat Besserung gelobt – allein uns fehlt der Glaube. Hier wären Taten schon mal was. Dass die OBAs seit vielen Jahren sehr erfolgreiche, sinnvolle Arbeit leisten und aus der Landschaft nicht mehr wegzudenken sind, da sind sich wohl alle einig. Auch wenn die Anpassung der neuen Richtlinie nicht alle fachlichen Forderungen erfüllt, die Entwicklung ist richtig und wichtig. Auch im Sinne der UN-BRK.
  3. Wäre es nicht sinnvoll, werter Herr Innenminister, den Abbau der Bürokratie ernst zu nehmen und die Bayerischen Bezirke nicht als Zwischenstationen für die Abrechnung bei den von den Jugendämtern erbrachten Leistungen für minderjährige unbegleitete Geflüchtete zu nutzen? Da sind wir „nur“ Durchlaufposten – an dieser Stelle ist echtes Sparpotential – Steuerungspotential gibt es da keines. Lassen Sie das einfach die Regierungen abwickeln, die ja ohnehin auch damit befasst sind.
  4. Bei unserem Erfolgsmodell, dem Krisendienst, gibt es a) ein Anliegen, dass das Innenministerium den Leitfaden für die Disponent*innen in den Leitstellen um den Punkt „Krisendienste“ ergänzt und b) ein Thema für uns alle! Lassen Sie uns gemeinsam mit den Landkreisen und kreisfreien Städten den nächsten Schritt gehen und den Krisendienst für Kinder und Jugendliche weiterentwickeln. Uns ist klar, dass das die nächste Herkulesaufgabe ist – aber sie ist richtig. Und damit bin ich auch schon bei einem meiner Lieblingsthemen – der SGB VIII-Reform. Das ungeliebte und in Bayern unverstandene Gesetzesvorhaben der Bundesregierung. Ich fordere Sie auf, wenn Sie Inklusion ernst nehmen, hier nicht über Ausnahmeregelungen für Bayern zu verhandeln, sondern alle Expertinnen und Experten an den Tisch zu holen, die Erfahrungen aus den Modellregionen ernsthaft zu evaluieren und das Beste für die Kinder und Jugendlichen und ihre Eltern umzusetzen. Klar ist, dass die unterschiedlichen Strukturen in eher ländlichen Regionen und im urbanen Bereich Beachtung finden müssen und es nicht zu Qualitätsverlusten kommen darf. Verweigern Sie sich nicht, sondern lassen Sie uns aktiv und innovativ daran arbeiten. Auch in der Vergangenheit gab es Reformen und Aufgabenverlagerungen, die gut und im Sinne der Bürgerinnen und Bürger gemeistert wurden.
    Dass wir ein Fach- und Arbeitskräftethema haben, ist auch im letzten Winkel Bayerns angekommen. Zuwanderung, Bleiberecht, schnellere und flexiblere Anerkennung von Abschlüssen, Erleichterungen im Arbeitsalltag von Pflege- und Erziehungspersonal, Weiterbildungen und Aufstiegsmöglichkeiten, Weiterqualifizierungen und Imagekampagnen nicht nur für die MINT-Berufe sind auf jeden Fall Ansätze. Und: wir brauchen nicht noch mehr Modelle, wir müssen flächendeckend ins Handeln kommen. Selbst diejenigen, die Sie gerne willkommen heißen möchten, verfolgen die Diskussionen und Debatten sowie die Angriffe auf Menschen mit Migrationsgeschichte, auf Jüdinnen und Juden, sehr genau und überlegen es sich zwei Mal, ob sie nach Deutschland kommen wollen. Und: Wir haben eine stetige Abwanderung aus Deutschland von gut ausgebildeten Menschen.
  5. Mit Erstaunen haben wir Ihre Ausführungen, Herr Verbandspräsident, zum Thema Erinnerungskultur und der Beauftragung eines Gesamtkonzepts wahrgenommen. Wir werden uns sehr intensiv mit dem für den nächsten Fachausschuss Kultur und Jugendarbeit angekündigten Konzept auseinandersetzen. Wir stehen hier gemeinsam in der Verantwortung.
  6. Mit großer Sorge beobachten wir die Veränderungen unserer heimischen Gewässer, das damit verbundene Artensterben, die Trockenheit insbesondere in Franken und die Starkregenereignisse. Wer immer noch nicht kapiert hat, dass wir gemeinsam alles daransetzen müssen, die Klimaziele zu erreichen, dem ist nicht mehr zu helfen. Der stellv. Ministerpräsident und Wirtschaftsminister stellt das Erreichen der Klimaziele in Frage und hält dieses Erreichen für eine Gefahr für die Bayerische Wirtschaft. Er hat nicht verstanden, dass der Klimawandel und seine Folgen die Gefahr auch für die Bayerische Wirtschaft sind und dass die Sicherstellung der Versorgung mit Erneuerbaren Energien ein Standortfaktor und -vorteil sind.
  7. Und damit bin ich bei den Finanzen. Unser Verbandspräsident hatte bei der konstituierenden Sitzung der vergangenen Amtsperiode zugesagt, die Finanzierung der bayerischen Bezirke auf neue Füße stellen zu wollen. Davon ist nichts übriggeblieben. Und die Luft wird deutlich dünner – die Kommunen ächzen.

In der letzten Sitzung habe ich gesagt: „Es ist mir ein Anliegen, das anständige Miteinander auch in Zeiten des Wahlkampfs nicht zu verlassen; denn jenseits unterschiedlicher Ansätze sollte es uns gemeinsam um gute Lebensbedingungen für alle Menschen in unserem schönen Bayern gehen, um ein friedliches Miteinander, um soziale Gerechtigkeit, um Teilhabe und Teilgabe, um unsere Demokratie.“ Das ist leider – wie die Ausfälle einzelner Bezirksrät*innen in Schwaben und Oberbayern zeigen – leider nicht gelungen. Danke an Bezirkstagspräsident Martin Sailer, der öffentlich dazu Stellung bezogen hat. Wir haben Feinde unserer Demokratie in unseren Gremien, lassen Sie uns aufmerksam sein – hier ist Toleranz das falscheste Mittel.

Ich wünsche der Versammlung einen guten Verlauf und bin sehr auf den morgigen Tag gespannt.